Sphärische Musik aus Taubenflügeln
Im Jahre 1590 nach Chr. schrieb der Scheich Abul Fasl, Minister und Freund des Mogul-Kaisers Akbar der Große, einen außerordentlich interessanten Bericht über die Zucht von
Flugtauben am Hofe des Kaisers. Tausende hochwertiger Flugtauben – Tümmler – erfreuten den Kaiser: Hoch in der Luft führten sie ihre eigenartigen Kunstflüge und Überschläge vor.
Nachdem sie Hunderte von Metern abwärts gesaust waren, stiegen sie, sich während des Aufwärtsfluges um die eigene Achse drehend, wieder empor. Sie zeigten dabei eine unglaubliche
Geschicklichkeit im Fliegen, die man gewöhnlich nur Raubvögeln zutraut.
Wenn der Kaiser unterwegs war, nahm er diese wertvollen Flugtauben in Körben, die auf Kamelen befestigt waren, mit. Wenn er Rast machte, ließ er sie frei fliegen. Die gerade
beschriebenen Tauben existieren noch heute. Man nennt sie Kunstflug- oder Rollertauben. Diese Beschreibung aus dem Altertum macht noch auf eine andere Jahrhunderte alte Tradition
des Flugtaubensportes aufmerksam, den Flötchen-Tauben-Sport.
Dieser Sport wird noch heute in China, Indien, Indonesien, Iran, Syrien, Thailand und im nahen Orient auf verschiedene Art und Weise praktiziert. Man befestigt sehr kleine
Flöten aus Holz, Bambus, Metall, Ginkgo-Nuss oder Zierkürbissen zwischen den Schwanzfedern oder auch wohl auf dem Rücken der Tiere. Diese Flöten sind unglaublich kleine
Kunstwerke. Sie wiegen im allgemeinen nur fünf Gramm und behindern die Flugtauben in keiner Weise. Die verschiedenen Tonarten sind äußerst präzise aufeinander abgestimmt und
nehmen auf das Musikgefühl der einzelnen Völker Rücksicht.
Im früheren Peking besaßen insgesamt fünf Familien das kaiserliche Privileg
Taubenflöten herzustellen. Aus Zierkürbissen wurden verschiedentlich kleine orgelartige Flöten hergestellt und auf dem Rücken der Tauben befestigt. Ruhig fliegende 'orientalische
Nachtflieger' ließ man bei Sonnenuntergang ins Freie. Sie flogen nach und nach immer höher. So erfreuten sie die vor ihren Häusern sitzenden Taubenzüchter mit einer eigenartigen
sphärischen Musik. Gemäß der jeweiligen Fluggeschwindigkeit änderten sich die Töne der kleinen Instrumente. Sie wurden höher oder tiefer. Natürlich wurden nicht nur ruhig
fliegende Tauben mit diesen kleinen Flöten ausgestattet.
Noch heute lässt man auf Java in Indonesien Flötchentauben hochfliegen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um die großen "Madur-Rollertauben"! Sie verschwinden dermaßen
schnell oben im tropischen Himmel, dass man ihnen mit bloßem Auge nicht folgen kann. Kleine Flöten sind zwischen den Schwanzfedern befestigt. Einige Taubenfreunde lassen
gleichzeitig ihre Rollertauben fliegen. Auf ein bestimmtes Zeichen kommen die Tauben mit angelegten Flügeln herunter aus den Himmelhöhen. Dabei machen sie schraubenförmige Umdrehungen wie ein Meteor.
Dabei ertönen die kleinen Flöten in großer Lautstärke!
Der Züchter, dessen Taube sich als erste auf den ausgestreckten Arm niederlässt, ist der Sieger dieses Tages.
Die Javaner statten ihre Tauben mit ein-, zwei- oder dreifachen Flöten aus. Diese Flöten sind sehr kunstvoll gemacht und vielfarbig lackiert. Einige zeigen Kopffiguren aus der
javanischen Mythologie; wie z.B. die seltenen und qualitativ hochwertigen Taubenflöten von Wajang.
In Deutschland existiert ein Club der Flugtaubenfreunde, der sich auch mit Kunstflugtauben befasst. Jedes Jahr findet ein Wettfliegen statt. Aus sehr kleinen Flugkästen mitten auf
einer Wiese lässt man die Flugkünstler fliegen. Sie führen dann ihre Kunststücke oben in der Luft vor. Danach kehren sie in ihren Flugkasten zurück.
Zur Zeit befassen sich nur wenige Spezialisten in der Welt mit den Taubenflöten in dem Bewusstsein, dass sie damit ein Kulturerbe bewahren.
Artikel von Ulrich Reber – 1982 von Josef Fischer in Esperanto übersetzt
und in einer chinesischen Esperantozeitschrift veröffentlicht
Bericht mit Genehmigung von Erwin Sedlmeier und Martin Zerna.
|